Mangelernährung wird seit der Einführung von Hartz IV in Kauf genommen

Frank Eschrich

Vorträge über gesunde Ernährung sind entbehrlich, solange sich Hartz-IV-Familien kein frisches Obst und Gemüse leisten können

DIE LINKE Pirmasens: Aktionismus und Spenden sind Teil des Problems

Beim gemeinsamen Abendessen fielen kürzlich der ehemaligen Leiterin des Pakts für Pirmasens Sabine Kober und dem Ernährungsmediziner Professor Biesalski auf, dass Kinder aus Hartz IV-Familien unter Mangelernährung leiden. In der Horebschule betrifft dies 80 Prozent der schulpflichtigen Kinder. Abhilfe soll nun das Modellprojekt „Horeb-To-go – Lecker und gesund für Kids“ schaffen, das aus dem Bildungs- und Teilhabepaket und Spenden finanziert wird. Angeboten werden täglich bis zu 100 vollwertige Mahlzeiten, die im Quartierstreff nach Anmeldung kostenfrei abgegeben werden sollen. Das Modellprojekt ist auf 6 Wochen begrenzt.

Dazu erklärt der Vorsitzende der LINKEN Pirmasens, Frank Eschrich: „Dass die in der Regelleistung vorgesehen Sätze für die Ernährung weder für Kinder, noch für Erwachsene ausreichend sind und zu einer eklatanten Mangel- und Fehlernährung führen, ist seit der Einführung von Hartz IV im Jahr 2005 bekannt und wissenschaftlich dokumentiert. Sowohl die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) als auch das Forschungsinstitut für Kinderernährung (FKE) aus Dortmund haben seit diesem Zeitpunkt immer wieder auf diese Tatsache hingewiesen. Bekannt ist ebenso, dass für eine gesunde und ausgewogene Ernährung der dafür vorgesehene Teil der Regelleistung um mindestens 50 Prozent erhöht werden müsste. Das Bundeslandwirtschaftsministerium hat erst im August 2020 dazu ein Gutachten des wissenschaftlichen Beirats für nachhaltige Ernährung veröffentlicht. Darin heißt es, „auch in Deutschland gibt es armutsbedingte Mangelernährung und teils auch Hunger sowie eine eingeschränkte soziokulturelle Teilhabe im Bedürfnisfeld Ernährung. Die derzeitige Grundsicherung reicht ohne weitere Unterstützungsressourcen nicht aus, um eine gesundheitsfördernde Ernährung zu realisieren. (…) Aufgrund eines materiell deutlich eingeschränkten Handlungsspielraums von in Armut lebenden Menschen sind reine Informationsmaßnahmen und generelle Appelle zum Konsum von nachhaltigeren Lebensmitteln als Instrumente weniger geeignet“ (Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz, Juni 2020, Kapitel 4, Seite 108).

Kinderarmut und Mangelernährung durch Hartz IV sind ein seit vielen Jahren bekannter politischer Skandal und nichts weniger als die Bankrotterklärung der deutschen Sozialpolitik. Dafür hätte es der neu gewonnenen Erkenntnisse von Frau Kober und Herrn Biesalski eher nicht bedurft. Auch Vorträge über gesunde Ernährung sind entbehrlich, solange sich Hartz-IV-Familien kein frisches Obst und Gemüse leisten können. Seit genauso vielen Jahren fordern DIE LINKE, Sozialverbände, Gewerkschaften und Kirchen eine armutsfeste und bedarfsorientierte Grundsicherung, die eine ausgewogene Ernährung, gesellschaftliche Teilhabe und eine menschenwürdiges Leben für alle ermöglichen. Der nun in Pirmasens praktizierte Aktionismus mit dem Modellprojekt auf dem Horeb ist keine Lösung, sondern Teil des Problems. Sollen sich die Schulkinder auf dem Horeb nun für 6 Wochen mal ordentlich satt essen, während die Eltern dabei zusehen? Und wenn die 6 Wochen rum sind: Heißt es dann zurück zu Nudeln mit Tomatensauce und Billig-Toastbrot wie in den vergangenen 15 Jahren? Solche Maßnahmen sind weder nachhaltig, noch für die Betroffenen hilfreich. Sie verstellen den Blick auf die Verantwortung der Politik und dienen als Alibi, an der grundsätzlichen Misere nichts ändern zu müssen. Die dahintersteckende Denke ist Wohltätigkeit, die letztendlich auf dem mittelalterlichen Almosensystem beruht. Dieses wurde spätestens 1949 mit Artikel 1 des Grundgesetzes beendet. Die Kinder auf dem Horeb haben einen Rechtsanspruch auf ein menschenwürdiges Leben. Punkt.  Dafür braucht es Gesetze und keine Spenden.“

Frank Eschrich, Vorsitzender DIE LINKE Pirmasens